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BILDENDE KUNST DER HOCHRENAISSANCE



 

Die Blütezeit der frühkapitalistischen Kunstentwicklung in Italien wird Hochrenaissance genannt. Sie währte nicht länger als die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts (des Cinquecento). Als die Kunst der Renaissance ihren höchsten Stand erreichte, hatte bereits der wirtschaftliche Verfall Italiens begonnen. Das politisch zersplitterte Italien wurde von den Heeren Frankreichs und Spaniens überfallen, die infolge ihrer staatlichen Zentralisiertheit Italien in seiner Entwicklung überholt hatten. Das italienische Volk verteidigte sich gegen die Feinde von außen. In Florenz war es das aufständische Volk, das drei Jahre lang dem Ansturm der Angreifer widerstand. Kein Wunder, dass diese Stadt zu der Wiege der Kunst der Hochrenaissance wurde.

Im Zuge der allgemeinen politischen Aktivierung in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts wurden die nationalen und demokratischen Ideale wiederbelebt. Sie trugen zur Entwicklung der Hochrenaissance bei, die in Italien zu einem einmaligen und unvergleichlichen kulturellen Ereignis wurde.

Die Renaissance hatte allseitig gebildete Menschen entwickelt, Menschen von enzyklopadischem Wissen und großen politischen Fähigkeiten, „Riesen an Denkkraft, und Leidenschaft und Charakter" (F. Engels). Die Naturwissenschaften blühten, ganz besonders aber entfaltete sich die bildende Kunst und in ihr übernahm die Malerei die absolute Führung.

Der Begriff „Hochrenaissance" ist mit drei großen Meistern untrennbar verbunden - mit Leonardo da Vinci, Raffael und Michelangelo.

In Deutschland und anderen nichtitalienischen Ländern begann in der Kunst der Stil, den man nach der italienischen Renaissance als Renaissancestil bezeichnet, erst Anfang des 16. Jahrhunderts. Der Hauptmeister der deutschen Renaissance ist großer Maler und Graphiker Albrecht Dürer.

Leonardo da Vinci

 

Leonardo da Vinci war eine universelle Natur, auf den das Wort von den Riesen der Renaissance zutrifft, das Friedrich Engels geprägt hat. Er wurde im Jahre 1452 geboren. 1466 wurde er als Lehrling in die Werkstatt Verrocchios in Florenz aufgenommen. Von früh an bestanden in diesem genialen Menschen künstlerische und wissenschaftliche Neigungen nebeneinander.

Im Jahre 1477 begann Leonardo selbständig zu arbeiten. Sein erster großer Auftrag wurde das Gemälde mit einer Darstellung der „Anbetung der Heiligen Drei Könige", doch blieb dieses Bild unvollendet. Er bot sich dem Mailänder Herzog Lodovico Sforza als Rüstungstechniker an und bewarb sich um die Ausführung eines Reiterdenkmals. So kam es Ende des Jahres 1482 zur Obersiedlung nach Mailand. Nach einer Zeit der Vorbereitung begann der erste wichtige Schaffensabschnitt. 1483-1492 entstand die Mitteltafel eines Altars, darstellend die Madonna in der Felsgrotte. Doch immer drangen naturwissenschaftliche und technische Probleme in sein künstlerisches Schaffen. So stellte er während dieser Zeit Überlegungen zum Problem des Fliegens an, und es entstanden Entwürfe für Flugmaschinen. Außerdem schrieb er wichtige Abschnitte seines Traktats über die Malerei nieder. Mit seiner 1490 vollendeten Arbeit über Licht und Schatten wurde er zum Begründer der Lehre von der Luft- und Farbenperspektive. Dabei wurde er ständig von seinem Fürsten durch nichtige Aufträge bedrängt und von einer freien schöpferischen Tätigkeit abgehalten. Er mußte Kostüme entwerfen, Dekorationen für Feste schaffen und Wasseranlagen bauen.

Zur Krönung seines künstlerischen Schaffens in dieser lombardischen Stadt wurde das Wandbild mit der Darstellung des heiligen Abendmahls im Kloster Santa - Maria delle Grazie zu Mailand, an dem er von 1495 bis 1498 arbeitete. Ein Guß des inzwischen fertiggestellten Modells seines Reiterstandbildes für Francesko Sforza konnte nicht ausgeführt werden, weil das Gußmaterial dringlicher für Kanonen gebraucht wurde. Als Mailand durch französische Truppen besetzt wurde, verließ Leonardo die Stadt und reiste nach Florenz zurück. Er erhielt dort vom florentinischen Rat den Auftrag für das Gemälde mit der Darstellung der Anghiari-Schlacht.

In dieser Zeit entstand auch das berühmte Bildnis der Mona Lisa.

Den Aufforderungen der Mailand besetzt hallenden Franzosen folgend, verließ er 1506 erneut Florenz, so dass die begonnene Darstellung der Anghiari-Schlacht nicht vollendet werden konnte. In Mailand entstand neben vielen wissenschaftlichen Arbeiten ein weiteres Meisterwerk, das Bildnis der Heiligen Anna Selbdritt. Als 1513 in Mailand die Pest wütete, sah sich Leonardo zum Verlassen der Stadt gezwungen.

Über Florenz ging er nach Rom. Dort arbeitete er unter anderem an Plänen zur Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe, Schließlich folgte er im Jahre 1516 einem Ruf des französischen Königs, der ihm ein jährliches Gehalt aussetzte und eine Wohnung nahe dem Schloß in Amboise anwies. Dort starb Leonardo 1519 im Alter von siebenundsechzig Jahren.

Das Wissen um das Leben Leonardos ist notwendig, um seine künstlerische Entwicklung zu verstehen. Es sind ja nur wenige Kunstwerke, die Leonardo vollendet hat. Aber welch ein Gewicht besitzt sein Schaffen! In seinen Figurendarstellungen sind alle aus der Arbeit von Generationen stammenden Ergebnisse des Studiums des menschlichen Körpers zusammengefaßt worden. In einer unvergleichlichen Weise verband Leonardo mit dem Wissen um die Anatomie eine weise Einsicht in die seelischen Vorgänge des Menschen. So erlangte er eine Höhe der Charakterisierungskunst, wie sie sich um vollendetsten in der Abendmahlsdarstellung ausdrückt. Dieses Gemälde bezaubert die Betrachter immer wieder durch die treffende Charakterisierung der verschiedenen Personen: des sanften Johannes, des harten Peters, des niederträchtigen Judas.

Auch der Reiz der Mona Lisa ist darin begründet, dass durch die äußere Hülle der schönen Frau das Seelische hindurchscheint. Leonardos „Madonna Litta", die sich in der Leningrader Ermitage befindet (Ende der siebziger Jahre), ist eine künstlerische Verallgemeinerung der Schönheit und Größe der Mutterschaft. Hier kam die äußere Vollkommenheit wie die innere Fülle des Lebens zu ihrem Ausdruck.

Schließlich hat Leonardo den Künstlern und den die Kunst betrachtenden Menschen den Blick für das Atmosphärische geöffnet. Er malte als erster das Schimmern des Lichtes auf der Haut. Er war es auch, der als erster in einer Zeichnung über einer Landschaft niedergehenden Regen darstellte.

Mit Leonardos Abendmahlsdarstellung leitete sich zwischen 1495 und 1498 die Hochrenaissance ein. In ihr wurde jene klare Ordnung verwirklicht, durch welche die italienischen Maler den Ausgleich der Formen und der Bewegungstendenzen erreichten, wie es für das künstlerische Schaffen der Hochrennaisance charakteristisch ist. Das Prinzip der Klassik, in der Abendmahldarstellung begonnen, tritt vollkommen in Leonardos Gemälde ,.Die heilige Anna" in Erscheinung. Durch das Schema der Anordnung im Dreieck schuf er eine kompositionelle Einheit. Hier ist ein Zustand erreicht, in dem nicht das Kleinste geändert werden kann, ohne den Zusammenhalt und die Schönheit des Ganzen zu zerstören.

Gegenüber der Malerei des Quattrocento fällt in Leonardos Werk der Verzicht auf alle überflüssigen Details auf. Die Kunst der Hochrenaissance wählte aus der Wirklichkeit mit reifer Erfahrenheit das Wesentlichste aus.

In Leonardos Gemälden äußern sich die Ideale des Humanismus. Alle von ihm gemalten Gestalten zeichnen sich durch eine tiefe Vergeistigung und intellektuellen Reichtum aus.

Raffael

 

Im Schaffen Raffaels findet die Kunst der Hochrenaissance ihren Höhenpunkt. Es war die Zeit, da der Dominikanermönch Savonarola durch die italienischen Städte zog und leidenschaftlich den Luxus der Reichen und die Sittenlosigkeit am päpstlichen Hof anprangerte. Es war aber auch die Zeit, da der florentinische Staatsmann Machiavelli die Werke des römischen Historikers Livius kommentierte, da die schönsten Künste ebenso aufblühten wie Naturwissenschaften und Mathematik. Mehr und mehr entwickelte sich der Glaube an die Kraft des Guten und das Wissen, dass alles Gute und Schöne von den Menschen geschaffen und entwickelt werden kann.

Zeitgenossen bezeichneten die Malerei Raffaels als die Verkörperung der besten Bestrebungen und Hoffnungen ihrer Zeit. Sie belegten seine Geslalten mit der Bezeichnung „grazia". Darunter verstanden sie jedoch nicht nur die körperliche Grazie, sondern vor allem die geistige Schönheit des Menschen.

Raffael wurde 1483 in Urbina als Sohn des Malers Giovanni Santi geboren. Der Siebzehnjährige begann in der Werkstatt Peruginos zu arbeiten. Von diesem Meister hat Raffael viel übernommen. So stammt von Perugino die seelenvolle Zartheit des Ausdrucks, die ein wesentliches Kennzeichen der Kunst Raffaels ist.

Als Raffael im Jahre 1504 nach Florenz ging, wurden seine Formen selbständiger. Hier entwickelte er den für ihn charakteristischen Madonnentypus. In dem formvollendeten Oval seiner Madonnenköpfe entstand ein über alles Individuelle hinausgehendes Schönheitsideal. In seinen besten Madonnendarstellungen - Madonna mit dem Stieglitz, Madonna della Sedia, Sixtinische Madonna - verkörpert sich der Versuch, höchste menschliche Vollkommenheit als Einheit von Körper und Geist sichtbar zu machen. Dem dient die harmonische Ausgewogenheit der Form. In den Madonnen Raffaels vollzieht sich eine Entwicklung von äußerer Lieblichkeit zur menschlichen Würde, wie sie sich in der Sixtinischen Madonna vorbildlich verkörpert.

Durch Papst Julius II. im Herbst 1508 nach Rom berufen, malte Raffael in der Stanza della Segnatura des Vatikans bis zum Jahre 1511 eine Freskenfolge, die zu den größten, Leistungen der italienischen Kunst gehört. Zur gleichen Zeit, m der Michelangelo die Decke der Sixtinischen Kapelle schuf, entstanden hier lebensvolle Darstellungen jener Geistesmächte, die Europa am Beginn der Neuzeit bewegten: der Theologie, der Wissenschaft, der Poesie und der Jurisprudenz. Mit der Doppelleistung von Michelangelo und Raffael in der Sixtinischen Kapelle und in den Stanzen des Vatikans war der Höhepunkt der Renaissance erreicht.

Besonders großartig und monumental waren die Fresken „Disputa", in der Raffael die Theologie verkörperte, und „Schule in Athen", die den Triumph der Philosophie und Wissenschaft darstellte. In der „Schule von Athen" erwacht in monumentaler Größe die ganze Welt der Antike: Platon und Aristoteles, Sokrates und Diogenes, Pythagoras und Euklid - viele Repräsentanten verschiedener wissenschaftlicher und philosophischer Schulen. Erhaben und plastisch wurde hier der Gedanke an die schweren und glückbringenden Wege zur Erkenntnis ausgedrückt.

Raffael war auch ein sehr guter Porträtmaler. Er zeigte die von ihm gemalten Menschen als ausgeglichene und selbstsichere Persönlichkeiten. Sie haben einen Ausdruck ruhiger Besonnenheit, wie es dem humanistischen Ideal entsprach.

In den letzten Jahren seines Lebens begann Raffael die Ausmalung der Villa Farnesina. Seine Schüler haben dieses Werk und die von Ornamenten umrahmten biblischen Szenen in den Loggien des Vatikans vollendet.

Nicht zu übersehen ist die Tätigkeit Raffaels als Architekt. Er schuf Kapellen und Paläste, darunter die Villa Farnesina. Nach dem Tode Bramantes im März 1514 wurde ihm die Bauleitung des Petersdomes übertragen, die er bis an seinen Tod wahrnahm. Rechnet man dazu seine Tätigkeit als Konservator der antiken römischen Kunstdenkmäler und als Aufseher aller in Rom und seiner Umgebung betriebenen Ausgrabungen, so erhält man eine Vorstellung davon, wieviel der Menschheit durch den frühen Tod dieses Riesen der Renaissance auf ewig verloren gegangen ist. Erst 37 Jahre alt war Raffael, als er einem heftigen Fieber erlag, das er sich wahrscheinlich bei Ausgrabungen zugezogen hatte.

Raffaels „Sixtinische Madonna". Dieses Gemälde ist die höchste künstlerische Leistung Raffaels. Sieben Jahre vor seinem Tod malte Raffael im Jahre 1513 dieses Bild für den Hochaltar der Kirche San Sisto in Piacenta, einem kleinen Provinzkloster der sogenannten „schwarzen Mönche". Es witd angenommen, dass der berühmte, von den großen Fürsten der Höfe und der Kirche anerkannte Künstler dieses Gemälde nicht für die armen Mönche, sondern für das Grabmal des Papstes Julius II. malen sollte.

Die Aufkäufer des sächsischen Kurfürsten und Königs von Polen bemühten sich lange, dieses kostbare Gemälde für die Dresdener Gemäldegalerie zu kaufen. Wahrscheinlich wäre ihnen das nie gelungen, wenn der Abt und das Kloster nicht durch Krieg und Mißernte tief in Schulden geraten wäre. Darum baten sie Papst Benedict XIV. um Erlaubnis zum Verkauf der „Sixtinischen Madonna". 1754 konnte das Gemälde nach Dresden geschafft werden. Außer der Kaufsumme von 20 000 Zechinen verlangte, der Abt noch die Lieferung einer Kopie des Bildes an das Kloster.

Besucher aus vielen Ländern kamen eigens in die Gemäldegalerie nach Dresden, um die „Sixtinische Madonna" anzusehen. Der Ruf von der Schönheit des Gemäldes verbreitete sich rasch in der ganzen Welt. Während des furchtbaren zweiten Weltkriegs kamen viele Gemälde der Dresdener Gemäldegalerie zu Schaden. Als einziges Gemälde in einer Kiste verpackt, wartete die Madonna im feuchten Schacht des stillgelegten Kalkwerks Groß-Cotta bei Pirna auf ihre Rettung. Stunde um Stunde drang die Feuchtigkeit durch den Kalkstein und drohte die Madonna zu verderben.

Im Mai 1945 kamen die sowjetischen Truppen nach Dresden. Das 164. Bataillon der 5. sowjetischen Armee hatte den Auftrag erhalten, die Kunstschätze zu suchen und zu retten. Wo ist die Madonna? Das war die erste Frage, und zum Glück gehörte das herrliche Gemälde zu den ersten, die gerettet werden konnten.

In ihrem Tagebuch aus jenen schrecklichen Tagen schildert die Kunstwissenschaftlerin Natalie Sokolowa, wie die Kiste mit der „Sixtinischen Madonna" aus der Grube geschafft und später im Schloß Pillnitz geöffnet wurde. „Soldaten und Künstler standen wie eine Ehrenwache am Sarg einer bedeutenden Persönlichkeit. Einer von uns rief: „Die Mützen ab!", und alle leisteten dem Befehl Folge. Wir standen wie gebannt. Das Herz schlug. Jemand flüsterte aufatmend: ,Sie!' Wir schwiegen, denn niemand fand Worte..."

Einen langen Weg mußte die Madonna zurücklegen, bis sie im Jahre 1958 an ihre alte Heimstätte zurückkehren konnte. Mit den anderen von der Sowjetarmee geretteten Kunstwerken kam sie in die Sowjetunion, wo sie gehegt und gepflegt wurde - so lange, bis die Regierung der Sowjetunion beschloß, die geretteten Kunstwerke dem deutschen Volk zu übergeben. Heute leuchtet die „Sixtinische Madonna" wieder wie die Sonne den Besuchern der Dresdener Galerie entgegen.

Da steht sie vor uns, wie eine Bäuerin ihr Knäblein auf dem Arm tragend, eine junge Mutter aus dem Volke. Statt schwerer Brokatgewänder trägt sie einen einfachen blauen Überwurf über dem roten Gewand, ein leichter Schleier umflattert das Antlitz. Links unterhalb der Madonna blickt Papst Sixtus II., ein prächtig gekleideter Mann, dem lieblichen Wesen entgegen. Dieser mächtige Mann hat das Haupt entblößt. Ihm gegenüber ist die heilige Barbara in die Knie gesunken. Am unteren Rande des Bildes lehnen zwei Engel. Man könnte meinen, zwei reizende kleine Menschenkinder blickten nachdenklich in die Höhe.

Aus den großen dunklen Augen der Madonna leuchten Zärtlichkeit und Güte, ein kleines, beinahe schüchternes Lächeln umspielt ihre geschlossenen Lippen. Das glatt zurückgestrichene Haar unterstreicht die Schlichtheit des anmutsvollen Ovals ihres Gesichtes. Das Knäblein auf ihrem Arm scheint ernst und traurig zu sein.

Schwer, fast zu schwer, scheint der Körper des Kindes auf den Armen der Madonna zu lasten; schwer lastet die Verantwortung für das Leben des Kindes auf, der Seele der Mutter. Aber diese Mutter kommt nicht, um uns zur Ergebenheit aufzufordern, nein, das schöne Gesicht zeigt Stolz, Kraft und menschliche Würde.

Der russische Schriftsteller W.Weressajew schrieb am Abend seines ersten Besuches der Dresdener Galerie in sein Tagebuch, wie er von der Madonna entzückt war. „Plötzlich erfaßte mich eine helle Freude und Stolz auf die Menschheit, der es gelungen war, Mütterlichkeit in dieser Vollendung und Erhabenheit darzustellen. Sie war da. Und so lange sie da war, war das Leben schön und lebenswert!

Buonarotti Michelangelo

 

Michelangelo (geboren 1475, gestorben 1564 in Rom und beigesetzt in Florenz) ist eines der größten künstlerischen Genies, weiche die Menschheit hervorgebracht hatte. Der Glanz seines Ruhms ist über die ganze Welt verbreitet. Kein Land, kein Volk, das nicht Michelangelo kennt und schätzt.

Als Dreizehnjähriger kam er zu dem Maler Ghirlandaio in Florenz in die Lehre und erwarb sich später in der berühmten Akademie des Lorenzo de Medici die Schulung seines Geistes. 1496 weilte er zum ersten Male in Rom, der Stadt seines Schicksals.

Ein Jahr darauf erhielt er den Auftrag für die Pieta, die heute noch im St.-Peters-Dom zu sehen ist. Dieses erste große Werk war bereits der Wurf eines Meisters. Mit ihm vollzog sich der Übergang der Renaissanceplastik zur klassischen Reife. In diesem Werk zeigte Michelangelo seinen eigenen Stil, seine „Handschrift". Das war ein neues Wort in der Kunst, sowohl dem Inhalt als auch der Form nach.

Der Künstler gestaltete die Gottesmutter auf einem Stern am Fuße des Kreuzes, den entblößten Christus auf ihren Knien. Michelangelo löste sich von der traditionellen Deutung des Sujets, in dem er kühn mit den festen Regeln der Ikonographie brach. An Stelle der traditionellen, gewöhnlich hoffnungslosen Verzweiflung drückt das Gesicht der Madonna Trauer und betrübte Gedankenversunkenheit aus. Die Kostbarkeit des sorgsam polierten Marmors trägt wie die Form zu einer Idealität der Erscheinung bei, die das religiöse Thema fast gänzlich verdrängt.

Im Jahre 1504 während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Florenz vollendete der Bildhauer sein berühmtes fünf Meter hohes Marmorstandbild des David. Dieses Werk sollte später Gegenstand Hunderter Forschungsarbeiten, Bücher und Artikel werden. Über drei Jahrhunderte stand der marmorne David auf dem Palazzo della Signoria, Florentiner und Besucher der Stadt begeisternd und erschütternd. Erst 1873 wurde er ins Museum der Akademie überführt.

Mit dem „David" lieferte Michelangelo ein glänzendes Beispiel der Verschmelzung von idealer Schönheit und menschlichem Charakter zu einem untrennbaren Ganzen. Michelangelo-Forscher, darunter auch sowjetische Wissenschaftler, weisen zu Recht darauf hin, dass die titanischen Dimensionen der Skulptur nicht so sehr von den äußeren Ausmaßen des „David" selbst herrühren, sondern vielmehr durch die innere Größe der Gestalt bedingt sind. Auch hier werden wir wiederum Zeugen des Bruchs mit der traditionellen Darstellungsweise. Michelangelos „David" verkörpert die Kraft des freien Menschen, den keinerlei Schranken, keinerlei Schwierigkeiten und Gefahren zurückhalten können.

Doch zu ganzer Größe entfaltete sich Michelangelo erst wieder in Rom. Im Jahre 1505 erhielt er vom Papst Julius II. den Auftrag für dessen Grabmal, das nie vollendet wurde. Fast gegen seinen Willen wurde er während der Arbeit daran zur Ausmalung der Decke der Sixtinischen Kapelle gezwungen. Auf jede Hilfe verzichtend, leistete er dort zur Verwirklichung seiner gigantischen künstlerischen Vorstellungen die Arbeit eines Titanen. In gewaltigen Visionen stellte er die Schöpfungsgeschichte dar. Die-Arbeit an den Deckenfresken dauerte von 1508 bis 1512. Unter dem Pinsel Michelangelos erhielt auch die biblische Schöpfungsgeschichte weltliche Töne.

Zwanzig Jahre später malte Michelangelo an der Altarwand der gleichen Kapelle das Jüngste Gericht. Es war wiederum eine ungeheure Arbeit, die ihn vier Jahre beschäftigte; allein 343 Menschenfiguren gewannen Gestalt. Die gemalten Figuren sind herkulisch, sie leiten bereits zu den Übersteigerungen des Barock über.

Mit den Malaufträgen überlastet, hatte Michelangelo wenig Zeit für die Plastik. Vom Juliusgrabmal wurden nur die Sklaven, und selbst diese unvollendet, ausgeführt. Nur „Moses", eine urtümliche, wie vom Zorne Gottes beseelte Gestalt, ist von den geplanten Figuren zur Vollendung gelangt und läßt die Größe der künstlerischen Absicht ahnen.

1520 erhielt Michelangelo einen neuen Auftrag. Als Gedächtnisstätte für die Familie Medici sollte der Künstler in Florenz eine Kapelle schaffen, einen neuen Rundbau in der Kirche San Lorenzo. Die Arbeiten zogen sich von 1520 bis 1534 hin. Es entstand eine Einheit von Architektur und plastischem Werk, in die, neben den Figuren von zwei Medici, die auf den Gräbern ruhenden Allegorien der Tageszeiten sich harmonisch einordnen. Die Hauptidee dieses komplizierten, wundervollen Gesamtbildes ist die tragische Machtlosigkeit des Menschen vor der allmächtigen Zeit. Unruhe und Aufregung sind in den Gestalten „Aurora", „Abend", „Tag" und „Nacht" verkörpert. Das Gesamtbild in San Lorenzo wurde zu einer der schönsten und ergreifendsten Schöpfungen von Michelangelo.

Im Jahre 1534 verließ Michelangelo Florenz wieder. Von den nun in Rom entstandenen Werken ist die „Pietà Rondanini" hervorzuheben, bei der die Gestalt des Christus nicht quer auf dem Schoß der Gottesmutter gelagert ist; sondern parallel zu ihrem Körper zu Boden sinkt. Das ist eines der letzten plastischen Werke des Künstlers, das unvollendet blieb. Beide Figuren, wie des Christus, so auch der Gottesmutter, sind durch besondere Vergeistigung und Seelenverwandtschaft gekennzeichnet.

Michelangelo war wie Raffael auch Baumeister. Unter seiner Leitung entstand das Treppenhaus der Bibliotheca Laurenziana in Florenz. Mit der von ihm geplanten Umgestaltung des Platzes auf dem Kapitolshügel in Rom wurde Michelangelo zum Schöpfer der ersten vollkommen geschlossenen Platzanlage Europas. Von 1547 bis 1564 war er Bauleiter an der Peterskirche zu Rom. Die Westteile und die Kuppel gehen auf seinen Entwurf zurück. Im Unterschied zu der Irrationalität der Barockbaukunst waren die Bauwerke Michelangelos stets auf den Menschen bezogen und drückten an die menschliche Wirklichkeit gebundene Ideale aus. Deshalb bezeichnen auch seine Leistungen als Baumeister den Höhepunkt der Renaissance.

Das erregendste Werk Michelangelos ist das „Jüngste Gericht" in der Sixtinischen Kapelle. Unnachahmlich ist die grandiose Bewegung, mit der Christus, zornig und unversöhnlich, über die Menschheit richtet. Es ist, als ginge hier Michelangelo mit seiner Zeit selbst ins Gericht. Dieser Mensch, der sich zu Savonarola bekannte, war ein glühender Republikaner. Möglich, dass dieses Werk ein Aufschrei gegen das Papsttum war. Mit seiner dramatischen Bewegtheit ist es wie ein Symbol für die Zeit, in der Michelangelo lebte.

Der pathetische Heroismus seiner Gestalten steht in voller Parallele zu seinem politischen Wirken als Republikaner, der seiner Gesinnung wegen in seiner persönlichen Freiheit bedroht wurde und deshalb Florenz verlassen mußte. Von diesem demokratischen Geisi ist sein „David" getragen. Michelangelo zürnte mit seinem „Moses" den Feinden des Volkes, und seine Büste „Brutus" verkörperte die große Idee des Kampfes gegen Tyrannen. (Die Entstehung dieser Büste war mit der Ermordung des Tyrannen Alexander Medici verbunden.)

Die „Nacht" in der Kapelle der Medici wurde unter seiner Hand zum Symbol für das Schicksal Italiens. Was er angesichts dieser Plastik empfand, hat der Bildhauer selbst in Worten ausgedrückt, als er schrieb:

Lieb ist der Schlaf mir, Stein zu sein noch lieber;

Nicht sehn, nicht hören muß für Glück ich halten,

Solang Unheil und Schmack im Lande walten,

Drum weck mich nicht; sprich leis' und geh vorüber.

In den Museen der Sowjetunion, in der Leningrader Ermitage und im Moskauer Puschkin-Museum, befinden sich eine Originalskulptur dieses genialen Meisters der „Hockende Knabe" und Abgüsse seiner wundervollen Werke „David", „Pietà", „Moses", „Brutus" u. a.


Albrecht Dürer

 

Im Jahre 1484 setzte sich ein dreizehnjähriger Nürnberger Knabe vor einen Spiegel, griff nach Zeichenblatt und Stift und versuchte, sich selbst zu zeichnen. Diese Zeichnung ist bis auf den heutigen Tag erhalten. Sie zeigt ein stilles, ernstes Kindergesicht auf schmalen Schultern und eine kleine, aus einem faltigen Jackenärmel hervorlugende Hand. In der rechten Ecke lesen wir: „Das habe ich aus einem Spiegel nach mir selbst abgebildet im Jahre 1484, als ich noch ein Kind war." Und darunter steht der Name: Albrecht Dürer.

Albrecht Dürer wurde am 21. Mai 1471 in einem alten Nürnberger Hause geboren. Er war das dritte von achtzehn Kindern. Sein Vater, ein aus Ungarn eingewanderter Goldschmied, hatte eine eigene Goldschmiedewerkstatt gegründet. Die Goldschmiedekunst blühte zu jener Zeit in Nürnberg. Der Vater Albrecht Dürers brauchte sich also nicht um den Absatz seiner kostbaren Silber- und Goldwaren zu sorgen. Die Pokale, das Geschirr und die Dosen, die in der Werkstatt des tüchtigen Meisters gefertigt wurden, sicherten der Familie einen bescheidenen Lebensunterhalt.

Die väterliche Goldschmiedewerkstatt muß eine gute Schule-für den jungen Albrecht gewesen sein. Oft stand er neben dem Vater oder einem Gesellen und schaute ihnen bei der Arbeit zu.

Der junge Dürer begann bald, mit Hammer und Feile die Arbeit seines Vaters nachzuahmen. Aber bald stellte es sich heraus, dass Albrecht am Zeichnen und Malen mehr Vergnügen fand als am Hämmern und Feilen. Eines Tages trat er vor den Vater und bat ihn, Maler werden zu dürfen.

Die Kunst des Malers war zu jener Zeit ein Handwerk wie jedes andere. Die Künstler nannten sich auch Meister, sie besaßen eine eigene Werkstatt, in der Lehrbuben und Gesellen ihnen bei der Arbeit helfen mußten, Kunstschulen oder Akademien gab es noch nicht. In der Werkstatt des Malers Michael Wohlgemuth, zwischen Farben- und Leimtöpfen und unter oft groben Worten und Stößen der Gesellen, lernte der Lehrbub Albrecht Dürer die Malerkunst. Das war nicht so einfach, wie man es sich heute vorstellt. Denn zur Zeit Dürers wurden die Künstlerfarben noch nicht in Gläsern oder Tuben malfertig im Handel angeboten. Die Maler mußten sich ihre Farben selbst zubereiten. Sie rieben verschiedenfarbige gebrannte Erden zu feinstem Pulver und mischten sie mit bestimmten Bindemitteln, meist Ölen oder Harzen, aber auch Eigelb oder Quarklösungen.

Der junge Dürer lernte also, wie man Farben und Leime rieb und zubereitete, wie man die Bildtafeln grundierte und vergoldete, dazu alle jene Regeln und Kunstgriffe, die man beherrschen mußte, wenn man bei der Ausführung der großen Altarwerke, an denen Meister, Gesellen und Lehrlinge gemeinsam arbeiteten, mithelfen wollte.

Wie viel der junge Dürer in der Lehrwerkstatt des Meisters gelernt hat, beweist er in einem Gemälde, das er gleich nach Beendigung seiner dreijährigen Lehrzeit ausführte. Es ist das Bildnis seines Vaters. Leider ist das in derselben Zeit entstandene Bildnis der Mutter verschollen.

Albrecht Dürer hatte in der Werkstatt Wohlgemuths nicht nur gelernt, mit Farbe Bilder auf Holztafeln oder Leinwand zu malen. Gegen Ende seiner Lehrzeit lernte er auch, wie man Zeichnungen mit einem Schnittmesser in eine Holzplatte schneiden konnte, um diese dann wie einen Stempel einzufärben und abzudrucken.

Im Mittelalter war es üblich, dass die Handwerker nach der Lehrzeit in andere Städte und Länder wanderten. In der Fremde erfuhr der Geselle manches Neue und Wissenswerte. Er lernte bei fremden Meistern weiter, studierte ihre Werke und Arbeitsweise und gab auch in ihren Werkstätten eine Probe seines eigenen Könnens.

Auch Albrecht Dürer wanderte viel uhd besuchte die Werkstätten berühmter Meister. Er empfand deutlich, dass seine Kunst nur dann immer besser werden könne, wenn er die eigenen Leistungen mit fremden vergleiche.

Dürer besuchte zweimal Italien, er war in der Schweiz und in den Niederlanden. In Italien lebten die in jener Zeit berühmtesten Künstler. Sie schufen Werke von Vollkommenheit. Ihre Bildkompositionen waren gründlich und bis in alle Einzelheiten durchdacht. Deshalb entschloß sich Dürer, nach Italien, nach Venedig, zu reisen. Eine Anzahl von Landschaftsbildern - meist Wasserfarbenmalereien (Aquarelle) - bezeichnen genau die Orte, an denen Dürer auf seiner Reise nach Italien vorübergehend Rast machte.

Aber der Meister hat in seinen Landschaften nicht nur die Natur gezeichnet. Sein Interesse an der Natur war viel umfassender. Durch seine Studien sehen wir die großen und kleinen Dinge der Natur ganz neu, wir bewundern heute seine Landschaften, die Tier- und Pflanzendarstellungen und schätzen sie sehr hoch.

Im Jahre 1494 kehrte er von seiner Wanderschaft heim und heiratete die Tochter eines Nürnberger Kupferschmiedes, Agnes. Dürers junge Frau war wohlhabend, und so konnte er sich eine eigene Werkstatt einrichten und seine Arbeit beginnen. Mit 27 Jahren schaute er abermals in den Spiegel, um ein Bild „nach seiner Gestalt" zu malen. Da sehen wir ihn als einen selbstbewußten jungen Meister, in der Tracht eines vornehmen Bürgers. Zwei kühle und zugleich träumerische Augen blicken den Betrachter unverwandt an.

Dürer hat uns mit diesem Gemälde nicht nur eines seiner schönsten Selbstbildnisse überliefert, die Bedeutung seines Bildes liegt tiefer. In den vorangegangenen Jahrhunderten hatten die Maler nicht daran gedacht, von sich selbst allein ein Bild zu malen. Sie begnügten sich damit, irgendwelchen Personen, die auf ihren Bildern erschienen, ihre eigenen Gesichtszüge zu geben Der Künstler „verbarg" also seine eigene Persönlichkeit „hinter" irgendeiner im Bilde dargestellten Figur.

Dürer zeigt sich der Welt als ein freier Mann. Er ist stolz auf das, was er kann und was er besitzt. Das ist neu und kühn und zeugt von der völlig veränderten Stellung des Bürgers in jener Zeit. Er unterwarf sich nicht bedingungslos der Macht der Kirche und der Fürsten. Selbstbewußt wünschte er sein Bild der Nachwelt zu erhalten. Er betonte, „die Gestalt eines schon längst Verstorbenen lebt durch die Malerei ein langes Leben".

In Dürers Werken bewundern wir die Wirklichkeitsdarstellung; das war ein großer Fortschritt in der Kunst. Das sehen wir in dem Holzschnitt „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten". Nicht in der Wüste, wie es die Bibel erzählt, in einer deutschen Landschaft spielt die Szene. Besondere Freude hatte Dürer an der Gestaltung des Hintergrundes, denn hier konnte er sein Können im Zeichnen der Perspektive zeigen. Nur wer die Perspektive beherrschte, konnte die Welt so zeichnen und malen, wie wir sie mit unseren Augen sehen und erleben. Dürer hat die Holzschneidekunst nicht nur in seinen Lehr- und Wanderjahren, er hat sie sein ganzes Leben lang geübt und darin eine Vollkommenheit erreicht, die bei keinem seiner Zeitgenossen zu finden ist. Dürer war nicht nur ein Meister des Holzschnittes, sondern auch ein bedeutender Kupferstecher.

Zwei Jahre vor seinem Tode malte Dürer das Bildnis des Patriziers Hieronymus Holzschuher. Das Bildnis des Nürnberger Ratsherrn war eines der letzten großen Kunstwerke, das er schuf.

In den nachfolgenden Jahren faßte er seine langjährigen Bemühungen um die verschiedensten künstlerischen Probleme in Büchern zusammen.

Dürer hat sich nicht nur mit dem Problem der Perspektive, sondern auch mit den Proportionen des menschlichen Körpers beschäftigt. Mit denselben Problemen befaßte sich in Italien der berühmte Leonardo da Vinci.

Kunst und Wissenschaft waren für Dürer zwei gleich wertvolle Mittel, die Welt zu erkennen und zu gestalten.

Das Leben Albrecht Dürers war ausgefüllt mit unermüdlicher Arbeit, mit Zeichnen und Malen, mit dem Ausführen großer Tafelbilder, mit dem Entwerfen unzähliger Zeichnungen für Holzschnitt und Kupferstich.

 

Lesen Sie den Text über das Leben von A.Dürer mit der Zielsetzung, Renaissancezüge in seinem Schaffen festzustellen. Merken Sie sich die größten Werke von Dürer.

Albrecht Dürer

(21.5.1471 in Nürnberg - 6.4.1528 in Nürnberg)

Albrecht Dürer, der größte deutsche Künstler, war der Sohn des angesehenen Goldschmieds Albrecht Dürer, der aus Ungarn in die Niederlande «zu den großen Künstlern» gezogen war, ehe er 1455 nach Nürnberg kam. Dort heiratete er 1467 die 15jährige Tochter Barbara des Goldschmieds Hieronimus Holper, dessen Werkstatt er später übernahm. Er rnuß ein sehr tüchtiger Mann gewesen sein, da ihn der Kaiser mit Aufträgen bedachte. Seine Vorfahren stammten aus dem ungarischen Ort Ajtos; sie waren vermutlich deutscher Abstammung, wie das in jener Zeit bei den Handwerkerfamilien in Osten Europas die Regel war; auch der Großvater Dürers war schon Goldschmied gewesen. Da «ajto» auf deutsch «Tür» bedeutet, sind offenbar davon Name und Wappen der Familie abgeleitet. Albrecht Dürer kam als drittes von 18 Kindern zur Welt. Nachdem er bei seinem Vater das Goldschmiedehandwerk erlernt hatte, bedrängte er ihn so lange, bis er den 15jährigen am 30. November 1486 zu dem Nürnberger Maler Michael Wolgemut in die Lehre gab. Dieser unterhielt eine riesige Werkstatt, in der große Flügelaltäre mit Schnitzwerk und Tafelbildern hergestellt wurden. Aber wichtiger für Dürers Entwicklung war der Umstand, daß in Wolgemuts Werkstatt - in der auch dessen Stiefsohn, der Maler Wilhelm Pleydenwurrf, arbeitet - unter anderem die zahllosen Holzschnittillustrationen zum «Schatzbehalter» von 1491 und zur «Weltchronik» des Hartmann Schedel von 1493 angefertigt wurden. Diese Bücher erschienen bei dem berühmten Buchdrucker Anton Koberger, der Albrecht Dürers Taufpate war. Die Werkstatt Wolgemuts, in der Dürer etwas über drei Jahre lang seine Unterweisung als Maler empfing, stand ganz unter dem Einfluß der altniederländischen Kunst. Als Dürer 13 Jahre alt war, setzte er sich vor den Spiegel und zeichnete sein Gesicht. Daß die Künstler Porträts und gar noch Selbstbildnisse schufen, war in Deutschland am Ende des 15. Jahrhunderts etwas völlig Ungewohntes. Noch immer war das ganze Leben beherrscht von Denken und Empfinden des Mittelalters.

1494 heiratete er die Tochter Agnes des angesehenen Hans Frey, mit der er in kinderloser Ehe lebte.

Wenige Wochen nach der Hochzeit war in Nürnberg die Pest ausgebrochen, die zur Zeit ihres schlimmsten Wütens täglich über 100 Tote forderte. Alle «Ehrbaren» flohen, und auch Dürer brach im Herbst 1494 nach Venedig auf; es ist überaus bedeutsam, daß er nicht mehr, wie die Künstler der vorausgegangenen Generation, in die Niederlande gezogen war. Auf dieser Reise kam es zu seiner ersten bedeutsamen Begegnung mit der klassischen Kunst des Südens. Nun werden auch für Dürer der nackte Mensch und die perspektivische Raumdarstellung zu entscheidenden Problemen seines Schaffens. Als er im späten Frühjahr 1495 zurückkam, brachte er seine berühmten Landschaftsaquarelle mit - höchst geniale Zeugnisse eines ganz unmittelalterlichen Lebensgefühls; sie leiten einen neuen Entwicklungsabschnitt in der europäischen Kunst ein. Nach seiner Rückkehr eröffnete er 1495 in Nürnberg eine eigene Werkstatt. Schon 1498 erschien seine monumentale Holzschnittfolge der Apokalypse, die einen großartigen Abschluß der mittelalterlichen deutschen Kunst bedeutet. Über Nacht wurde Dürer weltberühmt. Er stand nur in enger Verbindung mit den Nürnberger Humanisten, besonders mit Willibald Pirckheimer, der ihm vor allem die geistige Welt der Antike erschloß und lebenslang Freundschaft bewahrte.

Im April 1500 tauchte in Nürnberg der venezianische Maler copo de' Barbari auf. Dieser zeigte Dürer italienische Proportionsstudien. Dürer beschäftigte sich seitdem sein ganzes Leben lang mit diesem Problem und führte unzählige Messungen an nackten Körpern aus; er war überzeugt, daß man das Schöne an sich im Sinne Platos finden und geradezu in einer mathematischen Formel erfassen könne.

Dürer hatte in seiner Spätzeit eine umfassende Kenntnis der italienischen Kunst- und Proportionslehren. In vieler Hinsicht ist er geradezu der Vollender aller Versuche und Ansätze der großen italienischen Kunsttheoretiker, wie etwa Vitruv, Alberti und Leonardo da Vinci. Das erste Ergebnis dieser Studien war der berühmte Stich Adam und Eva von 1504; wenige Jahre später entstanden die zwei großen Tafelbilder des ersten Elternpaares: Adam (Madrid) und Eva (Madrid) von 1507. Seine gesamten Erkenntnisse legte er in seiner «Proportionslehre» nieder, die erstmals in seinem Todesjahr 1528 gedruckt wurde. Als im Spätsommer 1505 wieder die Pest in Nürnberg wütete, reiste Dürer erneut nach Venedig. Über seinen Aufenthalt geben besonders die zehn erhaltenen ausführlichen Briefe an Pirckheimer Aufschluß. Im Auftrag der deutschen Kaufleute malte er 1506 das Rosenkranzfest, eines seiner Hauptwerke, in dem er alle gotische Enge überwand. Mit diesem Bild wollte er den Venezianern beweisen, daß er nicht nur ein bedeutender Graphiker, sondern auch ein großer Maler sei. Man war in Venedig von seinem Werk tatsächlich so beeindruckt, daß ihm diese an großen Malern so reiche Stadt ein Jahresgeld anbot, falls er dort bleiben wolle. Er selbst bewunderte am meisten die Kunst Giovanni Bellinis. Zum erstenmal überkam ihn das Gefühl der bedrückenden Enge seiner Vaterstadt entflohen zu sein: «Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer», steht im letzten Brief an Pirckheimer. Auf dieser Reise machte er einen Abstecher nach Bologna und vielleicht auch nach Mailand.

Nach dieser zweiten Begegnung mit der Kunst des Südens zeigt seine Kunst ein deutliches Streben nach großer, klarer Form und bewegtem Ausdruck. Dürer fühlte sich nun als Maler, er übernahm größere Altaraufträge: Er schuf den Heller-Altar 1508-1509, das Allerheiligenbild 1511. Da er mit der Malerei aber nicht auf seine Kosten kam, wandte er sich ab 1510 entschiedener der Graphik zu. 1511 gab er die Holzschnittfolgen der Großen Passion, des 1504 begonnenen Marienlebens und der Kleinen Passion sowie erneut die Apokalypse heraus. Diese etwa 90, teilweise sehr großen Blätter müssen in ihrer Gesamheit einen überwältigenden Eindruck auf die Zeitgenossen gemacht haben.

Die Jahre 1512 bis 1519 wurden weitgehend durch die Arbeiten für Kaiser Maximilian in Anspruch genommen. Dazwischen entstanden 1513-1514 seine Meisterstiche Ritter, Tod und Teufel, Der heilige Hieronymus im Gehäus und Melancholie, die einen absoluten Höhepunkt aller graphischen Kunst bedeuten. Gleichzeitig machte er Radierversuche mit der kalten Nadel und geätzten Eisenplatten.

In den letzten Lebensjahren befaßte sich Dürer auch noch ausführlich mit der Fertigstellung und Redaktion seiner theoretischen Schriften. Er wollte ein umfassendes Werk über die Malerei herausgeben. 1525 veröffentlichte er eine «Unterweisung der Messung», ein Lehrbuch der angewandten Geometrie und Perspektive. 1527 erschien sein Werk über die «Befestigungen». In seinem Todesjahr 1528 wurde sein Hauptwerk über die «Proportionen des Menschen» gedruckt, ein Thema, mit dem er sich seit 1500 unausgesetzt beschäftigt hatte.

Schon im Tagebuch der niederländischen Reise spricht Dürer von einem Fieber, das ihn in Zeeland überfallen hatte. Wahrscheinlich holte er sich damals bereits den Todeskeim. Der Meister starb am 6. April 1528 und wurde in der Gruft seiner Schwiegereltern auf dem Johannesfriedhof in Nürnberg begrafen.

Die außergewöhnliche Wirkung seiner Kunst gründet sich vor allem auf die Einzigartigkeit seiner Graphik. Seine etwa 350 Holzschnitte sowie 100 Kupferstiche und Radierungen sind in ihrer künstlerischen und technischen Vollkommenheit niemals übertoffen worden. Durch ihre weite Verbreitung schon zu Lebzeiten des Meisters ging von ihnen eine so nachhaltige stilbildende Kraft aus, daß man das ganze Zeitalter einfach als «Dürerzeit» bezeichnen kann. Nicht weniger wichtig sind seine mehr als 1000 erhaltenen Zeichnungen, die zum kostbarsten Besitz der ganzen abendländischen Kunst gehören. Die etwa 125 bekannten Gemälde treten dagegen scheinbar in den Hintergrund. Er gebrauchte die Farbe, je nach der Technik, sehr verschieden; aber nie wich er ganz von der Eigenfarbe der Dinge ab. Viele seiner Hauptwerke gehören so zu den entscheidenden Malwerken der Zeit. Gewiß ist er nicht in erster Linie Kolorist wie Grünewald, bei dem die Farbe nicht selten die Herrschaft an sich reißt, aber schon seine frühen Landschaftsaquarelle wie etwa das Tal von Kalchreuth, sind reine Schöpfungen aus Licht und Farbe. Über viele seiner Bilder, vor allem über das Rosenkranzfest von 1506 breitet sich ein malerischer Gesamtton, der die spröde Dinglichkeit des Einzelnen in der Pracht einer alles umschlißenden Farbigkeit aufgehen läßt. So sind auch die zwei großen, viel zuwenig bekannten Bildtafeln Adam und Eva (Madrid) von 1507 weitgehend aus der Farbe entwickelt. Die vom Licht überspielten Körper sind mit allerfeinsten Valeurs in kühleren und wärmeren Tönen modeliert. Auch die Vier Apostel von 1526 sind vor allen Dingen ein Stück allerkostbarster Malerei. Ihre überwältigende Wirkung geht vor allem von der Farbe aus, die über die sinnliche Erscheinung hinaus durch ihren geradezu symbolhaftsittlichen Charakter wirkt.

Nicht weniger genial als mit der Apokalypse in der Graphik kündigt sich Dürer in der Malerei durch jene Handvoll Aquarelle an, die er von seiner ersten italienischen Reise 1495 nach Hause brachte, und andere, die im Anschluß daran in Nürnberg entstanden sind. Es handelt sich nicht nur um genaue topographische Aufnahmen; vielmehr wurden die Einzelheiten der Natur, Berg und Wald und Fluß, nun zum erstenmal zu einer neuen Einheit, einer «Landschaft», zusammengesehen. Dürer eilte damit der gesamten Entwicklung voraus; er wurde zum Schöpfer einer neuen Bildgattung. Dabei setzte er sich 1494-1495 in Arbeiten wie der verschollenen Ansicht von Trient, die sich ehemals in Bremen befand, mit Problemen der Freilichtmalerei auseinander, wie sie in dieser Weise erst wieder im 19. Jahrhundert aufgegriffen wurden.

Das machtvolle Bildnis Friedrich der Weise (Berlin), in dem ebenfalls deutlich venezianische Vorstellungen nachwirken, entstand wohl während eines kurzen Aufenthaltes des Kurfürsten von Sachsen im April 1496 in Nürnberg. Gleichzeitig wird damals der Kurfürst den Auftrag zu dem Dresdner Altar mit der anbetenden Maria auf dem Mittelteil und den Heiligen Antonius und Sebastian auf den Flügeln gegeben haben. Dürer malte auf dünne Leinwand mit Temperafarben, die gegen die aufwendigere Ölmalerei kühl und mager wirken. Der Altar ist nach schweren Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg wieder vorzüglich hergestellt worden. Deutlich sind, besonders im Mittelbild, italienische Anregungen, nämlich von Mantegna und Donatello, verarbeitet. Die Seitenteile erinnern, besonders durch die Engel zu Häupten der Heiligen, an die Flügel gotisher Schnitzaltäre. Um so seltsamer erscheint der kühle, leere Raum, der auf dem Mittelbild den «flachen Schrein» mit der anbetenden Maria «gewaltsam» durchbricht. Der kühn gemeinte Wurf mit den neuerworbenen perspektivischen Künsten zerstört die Einheit des Bildes, denn Figur und Raum stehen unverbunden, wenn nicht gar abweisend nebeneinander. 1498 enstand sein Selbstbildnis.

Der Künstler steht in elegantester Modetracht nun selbstbewußt der Welt gegenüber. Die makellos erhaltene, überaus geistvoll «aufgebaute» Bildtafel, zeigt Dürer als den selbstsicheren Schöpfer der machtvollen Holzschnitte der Apokalypse, die ihn zum führenden Meister des Nordens machten. Dürer tritt hier als glänzender Vertreter eines neuen, unmittelalterlichen Lebensgefühles auf, bei dem der Mensch nun selbstverantwortlich und kritisch der Welt gegenübersteht. Es scheint, daß ihm dieses glanzvolle Madrider Selbstbildnis eine ganze Reihe von Aufträgen einbrachte. Von größter Bedeutung für das Schaffen des Meisters ist das in jeder Beziehung so grundsätzlich andere, berühmte Münchner Selbstbildnis von 1500. Die ganz unberührt erhaltene Bildtafel zeigt den Meister in strenger symmetrischer Vorderansicht und in einer Idealisierung, die eine Erinnerung an frühe Christusdarstellungen wachruft.

In den Jahren um 1500 malte Dürer seine reichste und reifste Beweinung Christi (München) für den Nürnberger Goldschmied Glimm.

Die dichte Figurengruppe mit dem überlang proportionierten Leichnam Christi erinnert in ihrem pathetischen, ein wenig starren Ausdruck noch deutlich an die Holzschnitte der 1498 erschienen Apokalypse. Dahinter baut sich eine reiche, seltsam ferne Landschaft auf.

Der Paumgartner-Alter, dessen Datierung zwischen 1498 und 1504 schwankt, entstand vielleicht als Gedächtnisstiftung für den 1503 verstorbenen Nürnberger Patrizier Martin Paumgartner: Seine Söhne Stephan und Lukas sind nach glaubwürdiger Überlieferung in den zwei ritterlichen Heiligen Georg und Eustachius auf den Flügeln dargestellt. Während diese zwei Gestalten einfach und groß erfasst sind, behaupten sich die Figuren des farbenfroh gemalten Mittelstückes nur schwer gegen das übermächtige Geschiebe der Ruinenarchitektur, die in aufdringlicher Zentralperspektive mit übertriebener Tiefenflucht gegeben ist.

Während des Aufenthaltes in Venedig entstand 1506 als Hauptwerk im Auftrag der deutschen Handelsherren für deren Kirche S.Bartolomeo die Altartafel mit dem Rosenkranzfest. An der reichen Tafel arbeitete er nur fünf Monate. Das überaus festliche, leider aber beschädigte Bild, das einst der leidenschaftliche Dürer - Vereher Kaiser Rudolf II auf Männerschultern über die Alpen tragen ließ, läßt in den erhaltenen Teilen auch heute noch erkennen, daß es den Höhepunkt der Malerei Dürers darstellt.

Die Farben sind einer außerordentlichen, sonoren Schönheit, dabei von einer unitalienischen Kraft und emailartigen Durchsichtigkeit. Friedrich Winkler sagt mit Recht von dem malerischen Vortrag des Bildes, er sei «nicht von Geheimnissen umwittert, er ist einfachjubilierend, ja triumphal, jauchzend vor Entdeckerfreude». Der Kult der Rosenkranzverehrung war schon im 15. Jahrhundert besonders von den Dominikanern sehr gefördert worden.

Auf Dürers Tafel sitzt in einer märchenhaften Frühlingslandschaft Maria vor einem Baldachin, assistiert von dem stehenden heiligen Dominikus. Anbetend kniet vor ihr die gesamte Christenheit, vertreten durch die einzelnen Stände - Ritter, Kaufleute, Bürger und Handwerker; ihre Spitze bildet Kaiser Maximilian I, dem Maria eigenhändig den Rosenkranz aufsetzt, zur Linken Papst Julius II., dem sich das Jesuskind zuwendet. Dürer selbst erscheint rechts vor dem Baum stehend neben dem berühmten Humanisten Peutinger, der ihm vielleicht den Auftrag vermittelt hatte. Das streng im Sinne der Hochrenaissance gebaute Bild ist von einem unerhörten Reichtum kostbarster Einzelheiten, besonders an herrlich bewegten Händen und Charakterköpfen. Alle Teile hatte Dürer in höchst sorgfältigen Pinselzeichnungen vorbereitet, von denen noch 22 erhalten sind. Sie gehören zu den größten Meisterwerken seiner Kunst.

Das Allerheiligenbild von 1511 war die Stiftung des reichen Nürnberger Patriziers Matthias Landauer für das Zwölfbrüderhaus, ein Spital alter Mitbürger; der Bildtafel geht ein einfacherer Entwurf von 1508 voraus, der auch schon den reichgeschnitzten Rahmen einbezieht, dessen Original sich in Nürnberg befindet. Über einer anscheinend unübersehbaren, frei über einer weiten Landschaft schwebenden Menge, welche die ganze Menschheit nach Ständen darstellt, erscheint die Heiligste Dreifaltigkeit; sie wird von allen Heiligen und Vertretern des Alten Bundes umgeben, die rechts von Johannes, Moses und David, auf der anderen Seite von Maria angeführt werden. Neben dem Papst wendet sich unten der Kardinal dem greisen Stifter zu; an der unteren rechten Ecke steht der Maler selbst neben einer Schrifttafel. Die vorderen Rückenfiguren und die Lücke zwichen ihnen ziehen machtvoll den frommen Betrachter in den Kreis der Anbetenden so ein, daß dieser die Versammlung erst, gleichsam nach vorne zu abschließt.

Die Farben sind von strahlender Pracht, die durch das Gold prunkvoll gesteigert werden. Es ist allerfeinste, miniaturartige Malerei, die aber trotz aller Einläßlichkeit dem Vorwurf nichts von seiner Größe nimmt.

1518 entstand in leuchtender Farbigkeit und Pracht die Betende Мaria (Вегlin) und vor allem die viel zu wenig beachtete Lucretia, die sich durch eine erlesene Farbigkeit auszeichnet und Dürers gewandelte Vorstellung des weiblichen Aktes belegt; auf diesem Bild ist der obere, dunklere Teil des Schamtuches von einer späteren Hand hinzugefügt, was dem köstlichen Werk viel von seiner Formenspannug nimmt.

Auf der niederländischen Reise entstand 1521 der Heilige Hieronymus (Lissabon), zu dem es zwei unbeschreiblich schöne Vorstudien in Berlin und Wien gibt. Daneben haben sich drei gemalte Bildnisse erhalten, darunter das eines jungen Mannes, der lange Zeit als Bernhart van Orley galt, in dem man neuerdings aber Bernhart van Resten zu erkennen glaubt. Die weiche, malerische Behandlung des Gesichtes und die herrliche Feinmalerei des Pelzes beweisen, daß die Berührung mit den großen Meisterwerken der altniederländischen Malerei nicht ohne Einfluß blieb und den Maler zu Höchstleistungen anspornte.

Auch in Dürers letzten Jahren entstand eine Fülle außerordentlich bedeutender Porträtbilder, ernste "altdeutsche" Köpfe, darunter 1524 Willibald Pirckheimer (Madrid), sowie Hieronymus Holzschuher (Berlin), Jacob Muffel (Berlin) und Johann Kleberger (Wien). Alle werden von dem ungebrochenen Selbstbewußtsein getragen, mit dem der europäische Mensch in die Neuzeit eintritt. Das Hauptwerk am Ende seines Lebens, als geistiges Vermächtnis ebenso einzigartig wie als Kunstwerk, sind seine Vier Apostel von 1526. In den Auseinandersetzungen der Reformation stellte sich Dürer, im Gegensatz zu seinem Freund Pirckheimer, mit dem Rat der Stadt auf die Seite Luthers. In diesen unruhigen Tagen tauchten in Nürnberg radikale religiöse Schwärmer auf. Seine eigenen Schüler Barthel und Sebald Beham sowie sein «Malknecht» Jörg Pencz offenbarten vor Gericht eine so extrem atheistische und rein anarchisch-kommunistische Gesinnung; daß sie 1524 aus der Stadt verwiesen werden mußten; dort weilte zur selben Zeit Thomas Münzer, der Aufwiegler der Bauern. Die chaotische Unruhe dieser Tage und vor allem dieser Prozeß gegen die «gottlosen Maler» muß Dürer tief erschüttert haben. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse malte er die vier lebensgroßen Gestalten seiner Glaubenshelden, die allgemein als die Vier Apostel bezeichnet werden, obwohl Markus kein Apostel gewesen war. Dürer übergab die zwei Tafeln als feierliches Vermächtnis dem Rat seiner Vaterstadt. In der von Neudörfer aufgemalten Unterschrift warnt er vor den «falschen Lehrern und Propheten unter dem Volk»; er ermahnt die Mitbürger, «nicht einem jeglichen Geist» zu glauben, «sondern die Geister zu prüfen, ob sie von Gott sind».

Zahlreiche vorbereitende Arbeiten lassen erkennen, daß Dürer die bedeutungsvolle Bildidee lange ausgetragen hat. Geistigkeit und Form dieser Gestalten sind so verdichtet, daß sie die Rahmen zu sprengen drohen. Alles ist auf stärkste Gegensätze abgestellt, nicht nur in Form und Farbe, sondern vor allem auch in den Charakteren, die man deswegen als die «Vier Temperamente» zu deuten versucht hat. Wenn diese Erklärung, die auf Neudörfer zurückgeht, zutrifft, dann wäre Johannes, dessen Kopf nicht zufällig an den Melanchthons erinnert, der Sanguiniker - der ruhig lesende Petrus der Phlegmatiker - Paulus der Melancholiker - und Markus, mit rollenden Augen, gäbe den cholerischen Typus ab. Dürer ging es aber gewiß nicht um eine menschliche Klassifizierung, sondern höchstens um eine markante Unterscheidung der Gottesmänner. Das brennende Rot und glühende Gold des verhältnismäßig flach gemalten Mantels des Johannes stellt er dem unfarbigen Gewand des Paulus gegenüber. Dürer erreichte hier eine letztmögliche Steigerung seiner Form, nicht zuletzt auch wegen der fast mittelalterlichen Symbolkraft, die sich die Farbe bewahrt hat. Um die ganze Größe und die tiefe Geistigkeit dieser Glaubenheroen sichtbar zu machen, bediente sich Dürer der mächtigen Ausdruckskraft der Gewandfigur, die eigentlich ein Erbe des Nordens ist und hier nochmals zu bedeutendster, fast sakraler Wirkung kommt. Zugleich gibt er das Bild des vor Gott und der Welt selbstverantwortlichen Menschen völlig im Sinne der Renaissance. Dürers ganzes Streben war darauf gerichtet, in seiner Kunst die tiefen Gehalte seines nordischen Erbteils mit einer großen antikisch-südlichen Form in einer schöpferischen Synthese zu verbinden. Nicht selten spürt man dabei das Gegeneinander der wirkenden Kräfte. Seine besten Werke aber wie die «Vier Apostel», erheben sich beispielhaft aus nationaler Beschränkheit für alle Zeiten zu abendländischem Rang.

Aus Kindlers Malerei - Lexikon dtv München 1976

 

3.2. In welchen Gattungen der Kunst war Dürer besonders produktiv? Führen Sie dazu als Beispiel die Bilder an.

3.3 Sehr bekannt ist das Bild von A.Dürer «Rosenkranzfest» (1506). Hier ist die Bildbeschreibung:

«Rosenkranzfest» 1506

Es wurde nach der Bestellung der deutschen Kaufleute in Venedig gemalt.

Dürer legte auf dieses Gemälde besonderen Wert, er wollte hier in Venedig, dem Zentrum einer hervorragenden Malerschule, beweisen, daß er nicht nur ein ausgezeichneter Graphiker, sondern auch ein guterMaler war, und zwar ein deutscher Maler. Das gelang ihm auf glänzende Weise.

Dürers Tafel stellt eine Rosenkranz - Laienbruderschaft dar. Es handelt sich um ein religiöses Thema, das in einem Bild die irdische Welt mit der überirdischen verbindet.

Alle Teilnehmer an der Feier sind damals lebende Persönlichkeiten. Unter ihnen sind Papst Julius II., Kaiser Maximilian I. und Dürer selbst. Neben dem Thron der Madonna knien sowohl deutsche Kaufleute als auch Italiener. Sie gruppieren sich um die beiden Häupter der christlichen Welt, um Papst Julius II., der links neben der Madonna, und um Kaiser Maximilian I., der rechts kniet.

Die einzelnen Figuren gehören zu seinen besten Porträts, sie sind großzügig aufgefaßt, erfüllt von tiefer Menschlichkeit, das Ganze ist ein imposantes Gruppenporträt, eine der großen künstlerischen Leistungen nicht nur der deutschen Kunst. Die Szene spielt in einer Landschaft, die mit italienischen Landschaften nichts gemein hat. Es ist ein breites Alpental, von einem Fluß durchströmt, mit einer Stadt am Fuße hoher Berge. Die Erinnerung an Dürers Reise über die Alpen ist offenkundig. Die Madonna dagegen ist typisch dürerisch. In dem Farbenakkord von Violett, Rot und Blau spürt man den Einfluß der venezianischen Malerei. Diesen Einfluß sieht man auch in der Komposition des Bildes. Für die zentrale Gruppe der Madonna, des Papstes und des Kaisers verwendete er das beliebte Renaissanceschema eines Dreiecks. Es handelt sich jedoch auf keinen Fall um eine Nachahmung italienischer Gemälde. Dürers Tafel ist ein deutsches Bild.

In dem Gemälde herrscht Ordnung und heitere Stimmung, der Mensch befindet sich in vollkommener Harmonie mit der herrlichen Frühlingslandschaft, also mit dieser irdischen Welt und der Welt Gottes, repräsentiert durch die Madonna, das Jesuskind und die Engelchen. So stellt sich uns Dürersreifer Humanismus dar, die wirkliche deutsche Renaissance. Dürer legte alles in dieses Bild, was damals den Stolz der deutschen Kunst ausmachte. Und das Gemälde ist tatsächlich der Höhepunkt der damaligen deutschen Malerei. Es besitzt ein herrliches, leuchtendes und blendendes Kolorit, eine wunderbare präzise Zeichnung, vollendete Wiedergabe der verschiedenen Stoffe, glänzende Charakteristik der porträtierten Figuren, eine tiefe geistige Wahrhaftigkeit. Außerdem legte er in das Bild sein Entzücken über die Reise und die Natur in den Alpen, über Venedig und seine gesamte schöpferische Kraft und sein Selbstbewußtsein.

3.5. Versuchen Sie das Bild «Rosenkranzfest» zu beschreiben. Halten Sie sich dabei an die Schwerpunkte aus Aufgabe 2.1.

3.6. «Hieronymus im Gehäus» 1514

Dieser Kupferstich ist einer von den drei berühmten Meisterstichen Dürers, die 1513-1514 entstanden.

Dargestellt ist ein Kirchenheiliger, der die Bibel aus dem griechischen Urtext ins Lateinische übersetzt und ganz allgemein die menschliche Gelehrsamkeit versinnbildlicht. Dürer setzt ihn in ein Zimmer, wie es in den bürgerlichen Wohnhäusern des 16. Jahrhunderts allgemein anzutreffen war. Der Löwe, der neben einem kleinen schlafenden Hund im Vordergrund am Boden liegt, soll darauf hindeuten, daß der Heilige in der Einsamkeit der Wüste gelebt hat. Es sind auch viele Dinge zu sehen, die wir zum Teil kaum noch kennen; links die Fensterbank, darunter eine Truhe, darauf Bücher und Kissen, auf dem Fensterbrett ein Totenkopf, auf dem Tisch ein kleines Schreibpult, an der Wand im Hintergrund ein großer Hut, wie er zur Kleidung kirchlicher Würdenträger gehört, links daneben eine Sanduhr. Unter der Decke hängt ein Kürbis. Die Schuhe links unter der Bank tragen dazu bei, häusliche Geborgenheit zu zeigen. Ganz wundervoll ist das Licht dagestellt, das durch die Butzenscheiben der Fenster in den Raum fällt.

Das Besondere an dem Bild ist, wie in ihm das Dunkle nicht einfach dunkel ist und das Helle nicht nur hell wirkt. Licht, Schatten und das Farbige der Wirklichkeit sind in feinste Grauabstufungen umgesetzt worden.

3.7. Lesen Sie den Text: «Venezianische Versuchung»:

Dürer legte den Pinsel aus der Hand und trat von der Staffelei zurück. Er betrachtete sein Werk nachdenklich. Dann lächelte er ein wenig, nickte der jungen Frau zu, die in der Nähe des geöffneten Atelierfensters stand und bat sie, vor dem Gemälde Platz zu nehmen. Dürer blieb hinter ihrem Stuhl stehen und sah ihr Gesicht nur auf der Leinwand.

«Habe ich recht?» fragte er nach einer Minute des Schweigens. «Seid Ihr das, Donna Borsiere?»

Sie blieb stumm.

«Freut Ihr Euch?»

«Ich bin sehr glücklich.»

Ein Ahnungsloser hätte in den beiden wohl gestalteten Menschen mit Vergnügen die ungleichen Hälften eines Ganzen gesehen - am letzten aber in ihm einen landfremden Maler und in ihr eine Vertreterin seiner reichen, venezianischen Kundschaft.

Er war sechsunddreißig Jahre alt und hatte doch bereits seinen Fuß auf die höchsten Sprossen menschenmöglichen Ruhms gesetzt.

In ruhiger Selbstsicherheit trug er die Kleidung eines venezianischen Edelmanns. Die vollendete Anmut, mit der ihm das lockige Haar sein freimütiges Antlitz einfaßte, hatte nichts Weibliches - bloß ausgerechnet der allzu sorglich gepflegte Bart machte ihn einiger Koketterie verdächtig: «barbatus» neckten ihn, den «barteten Maler», die Freunde.